67 Prozent der Menschen in Deutschland finden, die Politik solle den großen Digitalkonzernen deutlichere Grenzen setzen. Das zeigt eine Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ein Großteil der Befragten sieht die technologischen Entwicklungen der letzten Jahre zwar grundsätzlich positiv. Die Menschen wollen aber mehr Mitsprache bei der Digitalisierung.Simone Harr hat mit dem Autor der Studie, Prof. Dr. Stefan Kirchner, gesprochen. Er ist Professor am Einstein Center Digital Future und leitet das Fachgebiet „Digitalisierung der Arbeitswelt“ am Institut für Soziologie der Technischen Universität Berlin.
Die digitale Transformation wird weltweit intensiv diskutiert. Wie nehmen die Menschen in Deutschland die Digitalisierung wahr und wie schätzen sie deren Entwicklung ein?
Kirchner: Grundsätzlich zeigen die Ergebnisse für viele eine generelle Offenheit und zum Teil auch Zuversicht gegenüber aktuellen technischen Entwicklungen. Gleichzeitig deuten sich mit der Studie auch Problemfelder an, die von den Menschen durchaus negativ wahrgenommen werden
Laut Ihrer Studie werden zukünftige Entwicklungen von den Menschen deutlich skeptischer eingeschätzt als bereits zurückliegende Technologieschübe. Woher kommt die Skepsis gegenüber neuen Technologien im Zuge der Digitalisierung?
Kirchner: Bei der Vergangenheit weiß man im Grunde ja immer schon was man hat. Die Zukunft dagegen bleibt offen. Derzeit dominieren bedrohliche Szenarien die aktuelle Debatte. Gerade diese Wahrnehmung einer bedrohlichen Zukunft könnte hier für einige Befragte eine gewichtige Rolle spielen. Gleichzeitig ist die Zukunft jedoch auch noch offen und kann gestaltet werden.
Wer soll aus der Sicht der Befragten die Digitalisierung tatsächlich gestalten?
Kirchner: Die Befragten äußern sehr deutlich den Wunsch, dass sie sich mehr Gestaltung durch den Staat und durch die Politik wünschen.
Die Digitalisierung bedeutet auch einen Wandel der Arbeitswelt. Welche Vor- und welche Nachteile sehen die Befragten?
Kirchner: Ein klarer Vorteil aus Sicht der Befragten ergibt sich durch mehr Flexibilität. Die Arbeit kann besser mit dem Privatleben vereinbart werden, indem beispielsweise an unterschiedlichen Orten oder zu flexiblen Zeiten gearbeitet wird. Gleichzeitig zeigt sich aber auch hier eine gewisse Skepsis. Einige Befragte gehen davon aus, dass die Digitalisierung nicht zu einer Verbesserung der Vereinbarkeit führen wird. Tatsächlich besteht mit der Digitalisierung auch das Risiko, dass immer mehr Arbeit in die Freizeit und in die Familie mitgenommen wird.
Welche Aussagen oder Ergebnisse der Umfrage haben Sie selbst überrascht?
Kirchner: Überraschend ist aus meiner Sicht die Einschätzung der Befragten zu ihrem Arbeitsplatz. Entgegen den öffentlich vieldiskutierten Prognosen, die einen massiven Verlust an Arbeitsplätzen vorhersagen, kommen die Befragten hier zu einer ganz anderen Einschätzung. Nur ein sehr kleiner Teil befürchtet derzeit einen Arbeitsplatz durch Digitalisierung zu verlieren.
Wie sehr unterscheidet sich die Wahrnehmung der Digitalisierung in Deutschland im Vergleich zu Ländern wie den USA oder China?
Kirchner: Aus meinen Untersuchungsergebnissen lassen sich zu anderen Ländern keine wissenschaftlichen Aussagen treffen. Vermuten würde ich jedoch, dass sich die Wahrnehmung der Digitalisierung in den USA und in China deutlich unterscheiden. Grund für diese Vermutung ist für mich, dass diese Länder jeweils sehr unterschiedliche Pfade der Digitalisierung anstreben. Das bedeutet, dass die Technologien ganz anders bzw. unter anderen Vorzeichen entwickelt, eingeführt und genutzt werden. Diese unterschiedlichen Pfade der Digitalisierung sollten sich dann auch in den Wahrnehmungen widerspiegeln.
Was leiten Sie für sich und Ihre Forschung aus der Studie ab?
Kirchner: Insgesamt zeigen die Ergebnisse einen ganz guten Überblick zum aktuellen Stand der Digitalisierung aus Sicht der Menschen in Deutschland. Diese, aber selbstverständlich auch viele andere empirische Untersuchungen sind erforderlich, um die aktuelle digitale Transformation besser zu verstehen und kontinuierlich zu analysieren. Insgesamt verfügen wir an vielen Stellen der aktuellen Entwicklung über viel zu wenig quantitative Untersuchungsergebnisse. Einerseits ist die technologische Entwicklung derzeit so rasant, dass die Entwicklung von entsprechenden Fragebögen und großflächigen Untersuchungen kaum hinterherkommt. Andererseits profitiert die sozialwissenschaftliche Forschung bisher nur sehr begrenzt von den vielen Daten, die durch die Digitalisierung permanent erzeugt werden. Von einigen Ausnahmen abgesehen, ist es bisher kaum möglich mit den bestehenden Ressourcen und anerkannten empirischen Methoden grundlegende Forschung durchzuführen. Hier brauchen wir viel mehr Anstrengungen, um die Digitalisierung kontinuierlich zu analysieren und neue Analysewege konzeptionell fundiert zu erschließen.
Die vollständige Studie erhalten Sie //hier.