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„In Deutschland sind wir sehr sensibilisiert, was Big Data angeht“

Prof. Dr. Steffen Augsberg blickt „gebremst optimistisch“ in die digitale Zukunft. Warum, das erklärt der Professor für Öffentliches Recht an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Sprecher der Arbeitsgruppe „Big Data“ im Deutschen Ethikrat, im Interview mit Simone Harr. Auf Einladung von Prof. Dr. Martin Gersch hat Professor Augsberg am 1. Juni 2018 einen Vortrag im Einstein Center Digital Future (ECDF) gehalten. Sein Thema: „Big Data und der Regulatorische Rahmen – die Empfehlungen des Deutschen Ethikrates“.

Seit 25. Mai 2018 gilt die EU-Datenschutz-Grundordnung (DSGVO). Wie bewerten Sie diese?

Die EU-Datenschutz-Grundverordnung hat in bestimmten Bereichen Vorteile – wie beispielsweise beim Schutz von Minderjährigen oder beim Online-Handel. Aber die Verordnung ist nicht unproblematisch. Sie ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Juristen und eine große Belastung besonders für kleine Unternehmen. Die DSGVO hat einen etwas überschießenden Effekt. Zudem ist nicht klar, ob große Internetfirmen tatsächlich signifikante Änderungen an ihren Geschäftsmodellen vornehmen werden. Das Geschäftsmodell von Facebook ist nun mal, Daten zu sammeln und zu verwerten. Die DSGVO bringt Verbesserungen, Probleme und erfasst gewisse Bereiche nicht. Sie ist kein durchgängig innovatives Regelungsmodell und insbesondere mit Blick auf Big Data ergänzungsbedürftig.

Die Menge der weltweit kursierenden Daten verdoppelt sich jährlich. Was bedeutet das für den einzelnen Menschen?

Durch die Menge der Daten ist der einzelne Mensch eher anonymisiert. Der einzelne Datensatz des Individuums ist jedoch ein wichtiger Bestandteil des Ganzen. Die Rückwirkungen, die sich daraus ergeben, sind problematisch. Wenn es beispielsweise um die individuelle Preisgestaltung bei Onlinebuchungen geht: Da wird für den einen der Flug nach Berlin teurer als für den anderen. Gerade verdeckte Manipulationen sind hochproblematisch.

Wie können Wissenschaftler*innen verantwortungsbewusst mit Big Data umgehen?

Ich muss mir bewusst werden, was ich mit den Daten mache, die ich für meine Forschung brauche. Ich muss mir Gedanken über die Quellen machen. Denn wenn ich freiverfügbare Datensätze nehme, muss mir klar sein, dass oftmals keine umfassenden Einwilligungen zu Grunde liegen. Sobald man selbst Daten erfasst, muss man die Leute informieren, was mit diesen Daten gemacht wird. Ich kann mir gut ein Kaskaden-Modell der Einwilligung vorstellen. Hier kann jede Person z.B. angeben, ob ihre Daten auch für weitere Projekte verwendet werden dürfen oder nicht. Auch die Spende von Daten ist denkbar. Grundsätzlich müssen Forscherinnen und Forscher ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie sie die Daten verwenden und wie wichtig diese Daten den Personen selbst sind.

Welche Erwartungen haben Sie an Forschungsprojekte wie beispielsweise dem ECDF im Hinblick auf die Verwendung von Big Data?

Ich habe keine groß anderen Erwartungen als an andere Forscherinnen und Forscher. Klar ist, wenn man sich mit der Digitalisierung beschäftigt, kommt man nicht umhin, die Datenschutzbrille aufzusetzen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler könnten beispielsweise einen Kodex entwickeln mit Qualitätsstandards, die über die gesetzlichen Mindestregelungen hinaus gehen.

Dänemark ist im E-Health einige Schritte weiter. Auf einer Online-Plattform können Patient*innen und Mitarbeiter*innen aus dem Gesundheitsbereich Daten einsehen. Ist dies in Deutschland in naher Zukunft denkbar?

Wenn man sieht, wie die elektronische Gesundheitskarte verzögert behandelt wurde, stimmt mich das nicht optimistisch, wie es im E-Health-Bereich weitergehen wird. In der Sache kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass es sinnvoll ist, die eigenen Gesundheitsdaten an einem Ort zu sammeln. Man muss aber sicherstellen, dass nicht jeder auf diese Daten Zugriff hat. Es gibt in Deutschland interessante Projekte in diesem Bereich, die aber auch auf viel Widerstand stoßen.

Woran liegt das?

In Deutschland sind wir sehr sensibilisiert, was den Datenschutz im allgemeinen und Big Data im Besonderen angeht. Es ist ein interessantes kulturelles Phänomen. Das mag mit der doppelten Diktaturerfahrung zusammenhängen. Besonders der ältere Teil der Bevölkerung hat Schwierigkeiten mit der Digitalisierung – eventuell auch, weil sie die Endgeräte nicht haben oder nicht anwenden können. Das ist ein Punkt über den wir in diesem Kontext auch nachdenken müssen. Die Digitalisierung wirkt inklusiv, aber auch exklusiv.

Wie wirkt sich die Digitalisierung speziell auf die Arbeitswelt aus?

Die Arbeitsweisen verändern sich. In vielen Bereichen sind wir dabei, uns selbst überflüssig zu machen. Das ist auch erschreckend. Wir kommen aus der klassischen EDV, arbeiten bereits mit Big Data und sind auf dem Weg zur Künstlichen Intelligenz. Damit werden zunehmend auch intellektuell anspruchsvollere Tätigkeiten ersetzt. Die Einschläge kommen näher. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Maschinen Autos zusammenschweißen, aber wir haben bislang kein Verständnis, wenn Sachbearbeiter*innen ersetzt werden. Wir müssen auf kreative Prozesse setzen, auf weiche Faktoren.

Wie geht der Ethikrat mit dieser Entwicklung um?

Ich bin guter Hoffnung, dass wir das Thema Künstliche Intelligenz bald im Ethikrat behandeln. Denn wir müssen uns die Frage stellen: Was macht den Faktor Mensch aus? Natürlich ist Intelligenz keine Voraussetzung fürs Menschsein; aber sie ist doch eng mit unserem Selbstverständnis verknüpft. Andere, genauso intelligente oder sogar intelligentere Entitäten fordern uns heraus. Es ist ein Phänomen, das man genau beobachten muss. Denn es kann uns ganz leicht aus der Hand geraten.

Wie schauen Sie in die digitale Zukunft?

Gebremst optimistisch.

Warum?

Ich glaube, wir haben in Deutschland eine ganz spezifische Technikfurcht. Wenn etwas Neues eingeführt wird, möchten wir, dass es risikoneutral ist. Aber das ist nicht möglich. Wir müssen auch die positiven Seiten der technischen Neuerungen sehen: In den 70er Jahren haben wir jährlich eine Zahl von Menschenleben im Straßenverkehr verloren, die die Größenordnung einer Kleinstadt erreichte. Wir haben, brutal formuliert, diese Menschen auf dem Altar der individuellen Fortbewegung geopfert. Inzwischen hat sich die Technik zum Glück so weiterentwickelt, dass die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle enorm zurückgegangen ist. Wir müssen auch sehen: Die digitale Zukunft wird uns noch viel erleichtern. Zudem muss uns klar sein, dass, selbst wenn Deutschland skeptisch gegenüber Künstlicher Intelligenz oder Big Data ist, es weltweit kein Moratorium geben wird. Wenn wir also nicht aufpassen, verlieren wir den Anschluss. Damit verpassen wir auch die Gelegenheit, die Werte, die für uns wichtig sind und bleiben, in den Gestaltungsprozess einzubringen.