Wie kann die Digitalisierung so gestaltet werden, dass sie Gemeingüter fördert und die planetarischen Grenzen respektiert? Auf dem internationalen Symposium "European approaches towards a Sustainable Digitalization" am 6. Mai 2021 kamen Vertreter aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Wissenschaft sowie politische Entscheidungsträger zusammen, um einen europäischen Ansatz zu entwickeln. Ausgerichtet wurde die digitale Vveranstaltung von der Technischen Universität Berlin (TU Berlin), dem Einstein Center Digital Future (ECDF), dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und der Leuphana Universität Lüneburg.
Wie notwendig die nachhaltige Digitalisierung ist, wurde erneut vom EU-Rat betont, der im Dezember 2020 Schlussfolgerungen zur Gestaltung der "Digitalisierung zum Nutzen der Umwelt" verabschiedete. Analysen zeigen, dass aktuelle Formen der Digitalisierung den Ressourcenbedarf erhöhen und soziale Ungleichheiten verschärfen. Um dies zu ändern, ist eine konzertierte Aktion auf EU-Ebene notwendig: "Wir hoffen, dass dieses Symposium die Debatte vorantreibt, den Ehrgeiz weckt und zu Ideen für eine Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg führt. Wir glauben, dass dies essentiell ist, um eine tiefgreifende Nachhaltigkeitswende zu erreichen", erklärt Tilman Santarius, Professor an der TU Berlin und ECDF, während des Eröffnungspanels. Tilman Santarius, Daniel Lang von der Leuphana Universität Lüneburg sowie Friederike Rohde vom IÖW eröffneten die Veranstaltung, indem sie die Bedeutung eines spezifisch europäischen Ansatzes für eine nachhaltige Digitalisierung betonten: Während in Deutschland die Notwendigkeit einer digitalen Transformation in Richtung Nachhaltigkeit zunehmend erkannt wird, reichen einzelne Aktivitäten im Rahmen des Green Deals bisher nicht aus. Es baucht Zielorientierung und politische Maßnahmen, sind sich die drei Podiumsteilnehmer*innen einig.
In drei parallelen Workshops konnten die Teilnehmer*innen tiefer in bestimmte Fragestellungen eintauchen. Im ersten Workshop "Ein Drei-Ebenen-Ansatz für eine nachhaltige digitale Transformation" betonten die Teilnehmer*innen die Notwendigkeit von Regulierung und einer Vision: "Wie können wir Europa sowohl digital als auch grün machen?", fragte Kim van Sparrentak, Mitglied des Europäischen Parlaments (Grüne/EFA). Um das zu erreichen, müsse der Einzelne gestärkt werden, eine neue Perspektive auf Commons entwickelt werden und die Ethik in einer digitalen Umgebung eine größere Rolle spielen. Marc Schattenmann vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit betonte die Doppelbelastung dieses Projekts: "Es ist eine Herausforderung, zwei große Transformationen gleichzeitig zu meistern, aber absolut notwendig. Digitale Technologien haben zwar ein großes Potenzial uns bei der Lösung unserer Umweltprobleme zu helfen, sie haben aber auch einen massiven ökologischen Fußabdruck. Das muss den politischen Entscheidungsträgern bewusst gemacht werden". Darüber hinaus muss die Zivilgesellschaft mit den richtigen und zugänglichen Daten versorgt werden, um eine Verhaltensänderung zu erreichen.
Die Teilnehmer des zweiten Workshops "Forging a European interdisciplinary science network on digitalization and sustainability" diskutierten eine Lösung für den trotz der aktuellen Dynamik fehlenden Wissenstransfer zwischen verschiedenen Disziplinen. Tilman Santarius stellte das Projekt Digitalization for Sustainability (D4S) der TU Berlin vor, das eine Lösung dafür schaffen will: Ein europäisches Wissenschaftsnetzwerk, das eine umfassende Analyse von Chancen, Risiken und Governance-Optionen in Bezug auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit liefert, Leitlinien, Politiken und neue Institutionen entwickelt und eine inter- und transdisziplinäre Forschungsagenda skizziert. Die ersten Podiumsteilnehmer Angelika Hilbeck (ETH Zürich) und Mattias Höjer (KTH Stockholm) gaben einen Überblick über die Herausforderungen in den Sektoren Agro-Lebensmittel, Transport und Bauwesen und betonten die Notwendigkeit einer gemeinsamen Agenda: "Wir müssen uns sehr klar darüber sein, was wir wollen und wohin wir wollen. Die Technologie schreitet mit voller Geschwindigkeit voran, und die Sektoren hinken weit hinterher. Wir müssen uns hinter einer Transformationsagenda vereinen und sicherstellen, dass die technologische Entwicklung wirklich mit der nachhaltigen Transformation übereinstimmt", sagte Hilbeck. Höjer wies auch auf die Verantwortung der Forschung hin, sowohl die Potenziale als auch die Gesamtfolgen der Digitalisierung aufzuzeigen und kritisierte die derzeitige Förderpraxis zugunsten des Ersteren. Éliane Ubalijoro (Exekutivdirektorin von Sustainability in the Digital Age) und Tim Unwin (UNESCO-Lehrstuhl für ICT4D) waren sich anschließend einig, dass der Diskurs mehr Zusammenarbeit braucht, vor allem sektorübergreifend und mit politischen Entscheidungsträgern, mehr verlässliche Daten über die Auswirkungen digitaler Werkzeuge und vor allem eine schnelle Umsetzung des Wissens und der Ideen in reales Handeln. Um Wirkung zu erzielen, müssen die Forscher sicherstellen, dass Nachhaltigkeit in bereits bestehende und zukünftige EU-Politiken aufgenommen wird, und es bleibt keine Zeit zum Handeln, so die Forscher.
Der dritte Workshop The "'Bits & Bäume Movement' goes Europe" diskutierte, wie die Zivilgesellschaft Teil des Prozesses der nachhaltigen Digitalisierung auf EU-Ebene werden kann. "Lese- und Schreibkenntnisse und gesellschaftliche Machtdynamiken prägen, wer in der Diskussion um nachhaltige Digitalisierung mitreden kann und gehört wird - wir müssen uns bemühen, darüber hinauszugehen", betont Vivian Frick vom IÖW, eine der Organisatorinnen der Konferenz Bits & Bäume und der Veranstaltungsreihe Forum Bits & Bäume: "Es reicht nicht aus, über technische Details zu reden - wir müssen auch die Verbindung von sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in die Diskussion einbringen." Marie-Kathrin Siemer von Liquid Democracy weist darauf hin, dass digitale Beteiligung ein Teil der Lösung sein kann: "Sie ist unabhängig von Zeit und Raum, sie ist skalierbar und zeigt den Grad der Beteiligung an: Wurden die Menschen nur konsultiert oder waren sie Teil des Entscheidungsprozesses?". Die Podiumsteilnehmer diskutierten auch die Notwendigkeit einer konzertierten Aktion: Es gibt viele ähnliche Prozesse innerhalb nationaler Grenzen, aber die Akteure kommunizieren nicht ausreichend miteinander, wie Gauthier Roussilhe, Designer und Forscher an der ENS Saclay, betont.
Die abschließenden Podiumsteilnehmer Michelle Thorne (Mozilla Foundation), David Jensen (UNEP Digital Transformation Task Force) und Kim van Sparrentak (MdEP, Grüne/EFA) diskutierten dann die Vision für zukünftige Zusammenarbeit: Akademien und die wissenschaftliche Gemeinschaft müssen einen Fokus auf die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und Akteuren wie der Tech-Industrie legen, um echte Veränderungen zu erreichen. Für Jensen gibt es ein zentrales Thema - das Geschäftsmodell der großen Tech-Unternehmen: "Wie können wir sie regulieren oder dazu bringen, ihre Geschäftsmodelle in Richtung Nachhaltigkeit zu verändern? Derzeit gibt es kaum Anreize". Michelle Thorne plädiert für einen ganzheitlichen Ansatz, wenn es um die Nutzung von digitalen Werkzeugen geht: "Die Umweltauswirkungen bestimmter Tools sind noch nicht Teil der Gleichung, das muss sich ändern. Carbon Accounting ist zentral für die Nachhaltigkeit". Alle Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass ein gemeinsamer Bewertungsrahmen auf EU-Ebene notwendig ist, um eine umfassende Nachhaltigkeit zu erreichen. Doch wie wird die Zukunft aussehen? "Wir brauchen Regeln und ambitionierte Vorschläge für eine nachhaltige Digitalisierung, von der Unternehmen und Gesellschaft profitieren", fasst Sparrentak zusammen.
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