Woher wissen wir, dass in einer Zeit, in der wir glauben, dass alles sichtbar gemacht werden kann, dass das, was wir sehen, wahr ist? Satellitenbilder haben in der Tat zu mehr Transparenz in unserer globalisierten Welt beigetragen, insbesondere beim Verständnis extremer Klimaereignisse, humanitärer Krisen und bewaffneter Konflikte. Es gibt jedoch Herausforderungen und Fragen, die wir uns beim Betrachten dieser Satellitenbilder stellen müssen, wie zum Beispiel, wer Zugang zu diesen Bildern hat, wer entscheidet, wo hingeschaut wird, wer die Befugnis hat, über das, was auf diesen Bildern zu sehen ist, zu sprechen.
Am 11. Juli 2024 eröffnete die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalistin Alison Killing den Nachmittag mit einer Keynote über die Chancen und Herausforderungen bei der investigativen Nutzung von Satellitenbildern. Alison Killing, eine britische Architektin und Stadtplanerin, setzt Satellitenbilder und architektonische Techniken ein, um drängende soziale Fragen zu untersuchen. Killing, die derzeit das Visual Investigations Team der Financial Times leitet, gab einen Einblick in ihre aktuellen Recherchen über Xinjiang in China, eine Region, die vor kurzem eingegliedert wurde und in der mehrere ethnische Minderheiten, hauptsächlich Muslim*innen, leben. Die Beziehungen zwischen Xinjiang, ein sehr rohstoffreiches Gebiet, vor allem in Bezug auf Öl und Kohle, und China sind seit 1949 zunehmend schwieriger geworden, vor allem aufgrund von Diskriminierung zur China in den Bereichen Bildung, Sprache, Religion und dem Arbeitsmarkt. Reisen in die Region sind sehr schwierig, trotzdem tauchten ab 2017 Informationen auf, dass Hunderttausende von Menschen in der Region in Lagern inhaftiert wurden. Eine Kollegin von Allison Killing, die zu dieser Zeit in China arbeitete, sprach mit ehemaligen Häftlingen, die die genauen Orte der Lager bestätigten. Um die Anschuldigungen näher zu untersuchen, griffen Killing und ihr Team auf Satellitenbildern zurück, da viele Journalist*innen in der Region von der Polizei verfolgt und eingeschüchtert wurden und Fotos löschen mussten. Xinjiang ist in etwa viermal so groß wie Deutschland, eine Untersuchung vor Ort wäre zusätzlich auch sehr zeitaufwändig und gefährlich gewesen. Die Satellitenbilder hatten noch einen weiteren Vorteil: Die chinesische Regierung ist dafür bekannt, dass sie Bilder von Industriegebieten mit Photoshop bearbeitet. Für Alison Killing lag der Verdacht nahe, dass das bei den Lagern in Xinjiang ebenfalls der Fall sein könnte. Die verwendeten Satellitenbilder stammten hauptsächlich aus europäischen und amerikanischen Quellen, über die die chinesische Regierung keine Kontrolle hat. Killing nutzte vor allem Quellen, die bereits vorhanden und leicht zugänglich waren. Mit Hilfe eines Shanghaier Fotografen deckte sie außerdem auf, dass auch Bilder von Immobilien in China nachbearbeitet worden waren. Für Killing erhärtete sich der Verdacht, dass dies höchstwahrscheinlich auch bei den Lagern in Xinjiang der Fall war.
Allison Killing sah sich die Satellitenbilder an und fand etwa sechs Lager, die von anderen Journalist*innen durch Besuche vor Ort eindeutig als Lager identifiziert worden waren. Auf den Satellitenbildern von Xinjiang achtete sie daher besonders auf Industriegebäude und -gebiete. Bei den ersten Lagern handelte es sich um Schulen und Krankenhäuser, die innerhalb weniger Wochen in Haftanstalten umgewandelt wurden, indem man Zellenwände in den Gebäuden und einen Stacheldrahtzaun um den gesamten Komplex errichtete. Später wurden größere Gefängnisse gebaut, wie einige Augenzeug*innen oder Journalist*innen bestätigten; manchmal wurden Medienberichte gefunden oder ehemalige Geiseln bestätigten die Standorte der Lager. In einem späteren Schritt wurden diese Satellitenbilder von einem Chinesen bestätigt, der nach seiner Ausreise aus China als Undercover-Agent ein YouTube-Video veröffentlichte. Diese Recherche war zentral, da die chinesische Regierung zunächst die Existenz solcher Lager leugnete und bis heute behauptet, dass sie als "Integrationsmechanismen" genutzt werden, um den Menschen in Xinjiang Chinesisch beizubringen und ihnen Arbeitsplätze zu bieten. Im Jahr 2019 behauptete die chinesische Regierung dann fälschlicherweise, sie habe das Programm eingestellt denn obwohl einige der ersten Lager tatsächlich geschlossen wurden, existieren die meisten Lager noch immer.
Nach ihrer Keynote diskutierten Alison Killing mit Anne Pellegrino, Leiterin der Medienprogramme bei Planet Labs, und Dr. Jeffrey Lewis, Leiter des East Asia Nonproliferation Programms am Center for Nonproliferation Studies in Monterey, USA. Beide verwenden für ihre Arbeit ebenfalls Satellitenbilder. Henrietta Wilson, wissenschaftliche Mitarbeiterin am King's College London, moderierte die Podiumsdiskussion und befragte die Diskussionsteilnehmer*innen nach ihrer Motivation, mit Satellitenbildern zu arbeiten. Für Killing ist eines ihrer Hauptziele Menschenrechtsverletzungen einzudämmen. "Ein Unbehagen gegenüber der Situation in Xinjiang" hat sie dazu veranlasst, diese Nachforschungen zu starten. Für sie gibt es einen zentralen Unterschied zwischen "der Möglichkeit, eine Aussage darüber zu treffen, was tatsächlich auf dem Bild zu sehen ist, und dem Verständnis dessen, was man möglicherweise auf dem Satellitenbild selbst entdecken kann oder nicht", das motiviert sie besonders. Jeffrey Lewis wiederum ist auf der Suche nach "der Wahrheit", wenn es um die Herstellung und Erprobung von Atomwaffen und Raketen geht, insbesondere mit Hilfe von Satelitenbildern. Anne Pellegrino, die bei Planet Labs, einem kommerziellen Satellitenanbieter, arbeitet, erklärt, dass ihre Arbeit deshalb so erfüllend ist, weil "die Analyse von Satellitenbildern ein Prozess ist, bei dem es darum geht, ein Mosaik von Beweisen zu erstellen." Planet Labs verkauft nicht nur Satellitenbilder, sondern stellt NROs kostenlos Bilder zur Verfügung. Bei ihrer Arbeit sei es wichtig, ob der Datenempfänger verantwortungsbewusst handelt und den Satellitenbildern gerecht wird.
Die Erstellung von Satellitenbildern ist ein wichtiger Schritt, aber Journalist*innen müssen auch in der Lage sein, sie zu analysieren und die richtigen Schlüsse zu ziehen. "Als Architektin bin ich es gewöhnt 2D-Darstellungen zu betrachten, daher ist es für mich ganz natürlich von Plänen und Schnitten und Ansichten zu Satellitenbildern überzugehen und zu verstehen, wie diese wahrscheinlich in der Realität aussehen. Am schwierigsten war es für mich Wissen über Xinjiang aufzubauen", erklärt Killing. Darüber hinaus haben sich Alison Killing und ihre Kolleg*innen auch mit den chinesischen Bauvorschriften für Gefängnisse befasst: "Das war sehr hilfreich für unsere Forschung und auch einfacher als man denkt, an diese Informationen zu gelangen. Die Vorschriften sind in der Regel online verfügbar, da die Länder wollen, dass sich die Menschen in ihrem Land an die Gesetze halten". Jeffrey Lewis erklärt, dass diese Gebäudemuster die Interpretation von Satellitenbildern in der Tat erleichtern können. Für Anne Pellegrino ist das zentrale Problem nicht, ob man die Daten überprüfen kann, sondern die Tatsache, dass sie bereits vorliegen - selbst wenn sie falsch sind. Für sie ist das erste Narrativ, das veröffentlicht wird, am schwersten zu widerlegen, selbst wenn es falsch ist. "Es ist also so etwas wie ein Firstmover-Vorteil", fügt Pellegrino hinzu. Jeffrey Lewis erklärt, dass es eine Menge schlechter Open-Source-Arbeiten gibt, die vielleicht nicht böswillig aber unseriös sind und so zu Fehlinformationen führen.
Die Diskussionsteilnehmer*innen sind sich einig, dass es schwierig, aber möglich ist, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, insbesondere mit Hilfe von Satellitenbildern. "Es ist schwierig, es braucht Stunden, es braucht Fachwissen, es braucht Augenmaß, aber es ist möglich. Die Darstellung digitaler Daten muss durch eine Reihe von Prozessen zerkleinert und dann interpretiert werden. Dafür trägt der Analysierende die Verantwortung. Die Verantwortung liegt aber auch bei den Konsument*innen von Nachrichten", fasst Wilson zusammen. Wilson möchte, dass die Zuhörer*innen verstehen, dass "Satellitenbilder nur ein Werkzeug in einem größeren Werkzeugkasten sind, mit dem die Menschen verstehen können, was in der Welt passiert". Abschließend betont Jeffrey Lewis "die Bedeutung von Transparenz, Vorsicht bei der Urteilsbildung und Wahrhaftigkeit bei der Arbeit".
Die Veranstaltung wurde gemeinsam von ECDF-Professor Felix Biessmann und den Assoziierten Wissenschaftler*innen Rebecca D. Frank und Alex Glaser organisiert. Die Veranstaltung wird von der Berliner Hochschule für Technik (BHT), dem Princeton Program on Science and Global Security (SGS) und dem Einstein Center Digital Future (ECDF) gefördert, mit großzügiger Unterstützung durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF).