Differenzen überbrücken, Gemeinsamkeiten finden: Zur diesjährigen Berlin Science Week luden wir Gender- und Diversity-Expert*innen mit unterschiedlichem Background in das ECDF ein. Sie alle beleuchteten das Zusammenspiel aus Digitalisierung und Diversität aus ihren eigenen Positionen. Gemeinsam diskutierten sie, wie Digitalisierung zu Diversität und echter Teilhabe beitragen kann, und wo sie genau das Gegenteil bewirkt.
Algorithmen in der Medizin – Als Frau in einer Männerdomäne
Den Anfang machte ECDF-Sprecherin und Zahnchirurgin Prof. Tabea Flügge (Charité Universitätsmedizin – Berlin) und führte in die Herausforderungen ein, denen Frauen in traditionell männlich dominierten Berufen begegnen. Sie hinterfragte, warum bestimmte Themen tabu bleiben – wie etwa die Annahme, dass Präsenz, die Männern während der Corona-Pandemie aufgrund von weniger Care-Arbeit eher möglich war, eine Qualitätsgarantie sei. Im Bezug auf ihre eigene Arbeit beschäftigt Tabea Flügge sich auch damit, wie Künstliche Intelligenz entwickelt und trainiert werden muss, um wirklich neutral und umfassend zu sein: „Dazu ist es natürlich wichtig, vollständige und umfassende Daten zu haben, mit der die KI trainiert wird“, so Flügge, die KI unter anderem nutzt, um eine Anwendung zu entwickeln die Mundkarzinome erkennen kann.
Raul Krauthausen – Inklusion im digitalen Zeitalter
Raul Aguayo-Krauthausen, Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit, sieht die Gefahr vor allem darin, dass die Digitalisierung als Antwort auf Inklusion gesehen wird. Viele digitale Lösungen wurden in der Pandemie als inklusiv verkauft, sind aber oft nur eine bequeme Alternative zur physischen Barrierefreiheit: „Statt Aufzüge zu bauen bekommen behinderte Menschen dann gesagt ‚Naja, du kannst ja auch digital teilnehmen‘. Gegen die anhaltende Unterrepräsentation von Menschen mit Behinderung wird so aber nicht vorgegangen. Die Digitalisierung, so Krauthausen, sei zwar grundsätzlich eine wertfreie Technologie, die jedoch sowohl Teilhabe ermöglichen als auch zur Isolation beitragen kann, wenn sie Menschen lediglich in ihre eigenen vier Wände verbannt. Neben den persönlichen Einschränkungen für Menschen mit Behinderung bedeutet das aber auch für die gesamnte Gesellschaft einen großen Verlust: „Wir unterschätzen die Innovationskraft von Menschen mit Behinderung, Frauen und Menschen mit Migrationserfahrungen“, betonte er eindringlich.
Mareike Lisker – Unterschwellige Entmutigungen
Mareike Lisker, Informatikerin, Philosophin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HTW Berlin, berichtete von ihren Erfahrungen als Frau in der IT. Bei der Wahl des Studium ist sie immer wieder auf – teilweise auch gut gemeinte – unterschwellige Entmutigungen gestoßen: „Bist du dir sicher, dass das was für dich ist? Willst du nicht lieber was Soziales machen?“, sind nur zwei Beispiele die die Doktorandin nannte. Diese impliziten Annahmen finden sich natürlich auch in entwickelten Technologien wieder und verstärken Diskriminierung. Für sie ist klar, dass sich das Arbeitsklima und Arbeitsumfeld in IT-Berufen ändern muss, damit mehr Frauen dabei bleiben, der Apell „Mehr Frauen in die IT“, greift für sie zu kurz.
Sénamé Koffi Agbodjinou– Von Hierarchien und dem Paradigma des Ableismus
Sénamé Koffi Agbodjinou, Architekt & Anthropologe sowie Gründer von L'Africaine d'Architecture und Woelabs Togo, fasste die Gemeinsamkeiten der Panelist*innen in seinem Beitrag nochmal zusammen: Jede Art von Diskriminierung hat eine gemeinsame Basis, ein gemeinsames Wertesystem, in dem Menschen nach ihrer Produktivität bewertet werden. Menschen die weniger produktiv sind im Verständnis dieses Systems, werden marginalisiert. Die Logik dieses Systems erklärt der Aktivist anhand eines Beispiels: „Ein Mann, der einen Baum fällt, wird für seinen „Wert“ für die Gesellschaft anerkannt, während eine Frau, die einen Samen pflanzt, oft übersehen wird. Ohne ihre Leistung kann die des Mannes aber gar nicht stattfinden“, erklärt er. Für ihn ist klar, dass die Digitalisierung wie wir sie gerade nutzen, nicht im Dienste der Menschen, sondern trage zur Ausgrenzung bei.
Die Veranstaltung fand im Rahmen der Berlin Science Week statt. Das internationale Wissenschaftsfestival findet jedes Jahr zwischen dem 1. Und 10. November statt. Als Moderatorin führte ECDF-Professorin Michelle Christensen durch den Abend.