Wie wirken sich KI-Technologien auf Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sowie auf die deutsche Wirtschaftsstruktur aus? Dieser und anderen Fragen geht das neue Forschungsprojekt „Die Politische Ökonomie der Künstlichen Intelligenz – von der Fiktion zur soziotechnischen Realität?“ von ECDF-Professor Philipp Staab nach. Das auf drei Jahre angelegte Forschungsprojekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 438.000 Euro gefördert.
“Whoever becomes the leader in [AI] will become the ruler of the world”. Dieses vielzitierte Technologieversprechen des russischen Präsidenten Putin vom September 2017 zeigt beispielhaft, welche Bedeutung Technologien der künstlichen Intelligenz (KI, engl. AI) beigemessen wird. Wie reagieren die Staaten in Europa auf diese Entwicklung und was erhoffen Sie sich davon?
Staab: Es gibt hier derzeit einen Konsens hinsichtlich dreier Punkte. Erstens sind sich zentrale Akteure aus Politik und Wirtschaft offenbar einig, dass es sich bei KI um ein, wenn nicht das zentrale Wachstumsfeld der Zukunft handelt. Zweitens wird davon ausgegangen, dass eine führende Position in diesem Bereich auch die Grundlage demokratischer Selbstbestimmung und geopolitischer Macht sein wird. Drittens hält man Deutschland und Europa im internationalen Wettbewerb für abgehängt. Unabhängig davon, ob diese Prämissen tatsächlich stimmen, haben sie einen beträchtlichen Aktivismus in Politik, Ökonomie und zum Teil auch in der akademischen Wissenschaft in Gang gesetzt. Um das Thema KI herum justiert sich daher in Europa womöglich ein neuer, viel politischerer Kapitalismus.
Was bedeutet das für Staaten wie Deutschland aber auch für die Europäische Union insgesamt?
Staab: Zahlreiche Staaten haben zuletzt eigene KI-Industriestrategien und Wirtschaftsförderprogramme aufgesetzt und sind dabei Milliardensummen in den Ausbau nationaler KI-Innovationssysteme zu investieren. Welche Effekte diese Initiativen haben werden ist derzeit noch relativ offen. Denkbar ist, dass eine neue KI-zentrierte Industriepolitik die relative Autonomie des europäischen Wirtschaftsraums erhöht – etwa weil der Aufbau einer eigenen KI-Industrie nur über Import- und Investitionskontrollen zu haben ist. Das wäre dann gewissermaßen Europas Ausstieg aus der Globalisierung. Das Beispiel zeigt: Die neue politische Ökonomie der künstlichen Intelligenz könnte Folgewirkungen haben, die wir heute noch gar nicht überblicken können.
Was ist das Ziel Ihrer Forschung in diesem Zusammenhang?
Staab: Ich möchte zunächst einmal herausfinden, ob sich in diesem verstärkten Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft, der politischen Ökonomie der Künstlichen Intelligenz, eine Transformation von ökonomischen Institutionengefügen und staatlichen Handlungskapazitäten ankündigt. Wir wollen den sozioökonomischen Restrukturierungsprozessen im Zuge der Verbreitung von KI-Technologien für den deutsch-europäischen Fall im Detail nachgehen. Daran schließen sich zahlreiche Fragen an: Wer profitiert eigentlich am Ende von der politischen Ökonomie der KI? Verändern sich nationale Produktionsmodelle in diesem Zusammenhang? Nützen die neuen Maßnahmen und Allianzen den europäischen Demokratien, weil sie Innovationen demokratisch gestaltbar machen oder haben wir es im Effekt eher mit einer Privatisierung digitaler Infrastrukturen zu tun?
Untersuchen Sie dabei einen bestimmten Aspekt?
Staab: Unser analytischer Fokus liegt sowohl auf der staatlichen Technologiepolitik, welche aktiv in den entstehenden Markt für „AI made in Germany“ eingreift, als auch auf konkurrierenden ökonomischen Akteurskoalitionen, welche wiederum die staatlichen Interventionen zu beeinflussen versuchen. Insgesamt wollen wir die von KI-Technologien angestoßenen Wechselwirkungen zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sowie die möglichen Folgen für die deutsche Wirtschaftsstruktur mittels einer theoretischen Integration von techniksoziologischen, innovationstheoretischen und politökonomischen Ansätzen analysieren.