Ob neue Hüfte, Knochenbruchbehandlung oder Gewebeentfernung: Besonders Patient*innen über 65 Jahre sind nach einer Operation anfällig für Komplikationen aufgrund ihrer Gebrechlichkeit. Wie der Austausch von alterungsrelevante Daten in einer integrierten digitalen Versorgung helfen könnte, geht aus einem aktuellen Paper von Prof. Dr. Daniel Fürstenau (ECDF/FU Berlin) und Prof. Dr. Dr. Felix Balzer (ECDF/Charité – Universitätsmedizin Berlin) mit Forschungspartner*innen aus der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Freien Universität Berlin hervor.
Warum haben Sie sich bei Ihrer Untersuchung auf Patienten über 65 Jahre konzentriert?
Durch den demographischen Wandel haben wir es in der Medizin immer häufig mit älteren Patienten zu tun, die üblicherweise auch mehr Vorerkrankungen haben als Jüngere. Diese Multimorbidität stellt in der operativen Medizin eine besondere Herausforderung dar. Zudem sind ältere Menschen sind häufiger gebrechlich, aber nicht zwangsweise. Es gibt auch junge Menschen, die die Kriterien für Gebrechlichkeit erfüllen, und umgekehrt ältere Menschen, die sehr fit sind. Die gute Nachricht ist: Gebrechlichkeit ist grundsätzlich reversibel. Mit Bewegung, Ernährung, sozialer Einbindung etc. kann man viel erreichen. Das steigert die Chancen, dass man eine OP ohne Komplikationen übersteht.
Die Charité hat kürzlich spezielle Sprechstunden für nicht dringliche Operation bei Patienten über 65 Jahre eingeführt hat. Welche Bedeutung hatte dies für Ihre Forschungsarbeit?
Die Ergebnisse der Forschung zu Gebrechlichkeit fließen auch in die klinische Routine ein. Es gibt auch weiterführende Projekte in der Charité, die sich ebenfalls mit Gebrechlichkeit beschäftigen und die zum Ziel haben, das Verständnis über die Bedeutung einer solchen Behandlung auch deutschlandweit zu etablieren.
Sie schreiben, dass im deutschen Gesundheitssystem für die Gespräche zwischen medizinischem Personal und Patient*innen nur wenig Zeit vorgesehen ist. Welche Rolle spielt der Zeitfaktor in Bezug auf die Gebrechlichkeit von Patient*innen nach Operationen?
Nach der Operation ist es essentiell die Patienten dabei zu unterstützen, dass sie so rasch wie möglich wieder in ihr gewohntes Umfeld zurückkommen.. Da ist es wichtig, dass ausreichend Zeit und Betreuung zur Verfügung steht, um diesen Schritt zu erleichtern. Auch später in der ambulanten Weiterversorgung bedarf es an Ärzten und Pflegekräften, die sich Zeit nehmen und zuhören. Das ist entscheidend für den Behandlungserfolg. Aber auch eine angemessene Dokumentation, damit alles Wesentliche festgehalten ist und Doppeluntersuchungen vermieden werden. Hier braucht es ein faires Entlohnungssystem für Dokumentationsaufgaben, das die richtigen Anreize schafft, wobei digitale Unterstützungssysteme eine wichtige Rolle spielen können.
Wie können die verschiedenen Beteiligten (Stakeholder) – niedergelassene Ärzte/Ärztinnen, Pflegekräfte in Altenheimen, Physiotherapeut*innen, medizinisches Personal in Kliniken, usw. – vor und nach Operationen besser eingebunden werden?
Zunächst ist ein Verständnis über den gesamten Versorgungsprozess aus Patientensicht und die relevanten Ergebnisparameter notwendig. Da geht es um so was wie Lebensqualität der Betroffenen und andere gesundheitliche Outcomes, aber auch um Kostenaspekte, die aus gesellschaftlicher Sicht eine Rolle spielen. Dann gilt es bestehende Anreizsysteme so zu gestalten, dass bestehende Interessen unter einen Hut gebracht werden, also ein Interessenausgleich stattfindet. Das kann in Form von finanziellen, aber auch nicht-finanziellen Anstößen zur Zusammenarbeit passieren. So können bestehende Ängste und Hürden abgebaut und die Beteiligten eingebunden werden. Man kann letztendlich niemanden zwingen – das Umfeld und die Bedingungen müssen stimmen. Und letztlich bedarf es natürlich auch digitaler Lösungen, die den reibungslosen Prozessablauf unterstützen und die Zusammenarbeit vereinfachen.
Was muss sich ändern, damit die Zahl der älteren Patient*innen mit Komplikationen aufgrund von Gebrechlichkeit nach Operationen zurückgeht?
Im Endeffekt geht es um Prävention. Je früher diese ansetzt, umso besser. Aktuell beziehen sich die Ansätze meist noch darauf, eine Risikostratifizierung im Krankenhaus zu machen und diejenigen, deren Fitness verbessert werden kann, dann präoperativ aufzubauen. Etwa durch gezieltes Ernährungstraining oder Physiotheraphie. Im Grunde könnte das noch viel eher ansetzen und älteren Menschen zu helfen, bevor eine OP überhaupt ansteht. Wie es in Schweden und Dänemark bereits heute schon teilweise gemacht wird.
Wie könnte der Austausch der alterungsrelevante Daten zwischen den Beteiligten praktisch erfolgen?
Bestehende technische Lösungen sind da. Dänemark hat beispielsweise ein Portal auf das Ärzte, Patienten, und andere authorisierte Berufsgruppen zugreifen können. Automatisierte Schnittstellen und Zugriffe in Echtzeit sind wünschenswert. Mit spezifischen Technologien, wie FHIR-Webservices für das Gesundheitswesen gibt es auch technische Standards. Der Austausch könnte also weitgehend automatisiert erfolgen.
Wie stellen Sie dabei den Datenschutz sicher?
Gerade dann, wenn institutionsübergreifend Daten ausgetauscht werden, sind detaillierte Datenschutz- und Datensicherheitskonzepte erforderlich, um den gesetzlichen Anforderungen Rechnung zu tragen. Dabei geht es primär darum, welche Daten zu welchem Zweck in welcher Form ausgetauscht werden sollen. Wo man die Zustimmung des Patienten braucht, innerhalb welchen Geltungsbereichs und in welcher Form. Dabei sind bestimmte rechtliche Grundlagen zu beachten wie die Datenschutzgrundverordnung und die jeweiligen Datenschutzgesetze der Länder. Wenn das steht, sind entsprechende Maßnahmen der IT-Sicherheit zu entwickeln. Sei es Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, wie man es heute aus vielen Messaging-Diensten kennt oder Zweifaktorauthentifizierung, bei der zusätzlich zum Passwort ein auf dem Smartphone generierter Zahlencode eingegeben werden muss. Datenschutz sollte nicht als Bremsklotz für die Digitalisierung des Gesundheitswesens verstanden werden, sondern als Möglichkeit.
Was sind die nächsten Schritte in Ihrem Forschungsprojekt?
Wir wollen entsprechende Schritte gehen, um das Konzept zur Versorgung gebrechlicher Patienten in verschiedenen Dimensionen auszubauen. Dabei geht es darum, es in die Anwendung zu bringen, auch räumlich zu skalieren und sich bestimmte Aspekte genauer anzusehen, etwa kognitive Einschränkungen. Auch eine Ausweitung in Richtung Self-Assessment der Patienten und der Einsatz anderer digitaler Technologien, wie zum Beispiel Wearables und intelligenter Kleidung erscheint sinnvoll. Auch hier sind interdisziplinäre Ansätze notwendig. Etwa gemeinsam mit Designern. Es bleibt viel zu tun.
Herr Fürstenau, Sie sind Wirtschaftsinformatiker, Herr Balzer, Sie sind Mediziner und Informatiker ist. Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit?
Unsere Zusammenarbeit begann im Rahmen einer Förderung in der Focus Area DynAge; ein Gemeinschaftsprojekt zwischen FU und Charité. Dort haben wir uns mit einem Projekt zum Thema Gebrechlichkeit bei älteren Patienten beworben.. Das startete die Zusammenarbeit.
Wie profitieren Sie voneinander?
Wir haben eine sehr gute Kooperation auf mehreren Ebenen. Wir betreuen gemeinsam Studierende auf dem Bachelor-, Master- und PhD-Level, arbeiten an Papern und Projektanträgen. Die unterschiedlichen disziplinären Hintergründe sind dabei bereichernd. Sie bringen unterschiedliche Sichtweisen und Methoden ein. Viele Fragestellungen sind so komplex, dass sie nur in Teams mit unterschiedlichen Hintergründen bearbeitet werden können. Gerade in der Medizin. (sim)