Wie weit ist der Transformationsprozess auf digitale Abläufe in Unternehmen bereits fortgeschritten? Welche Vor- und Nachteile resultieren daraus und vor allem: Welchen zusätzlichen Herausforderungen müssen wir uns durch die Corona-Pandemie im Arbeitsalltag stellen? Diese Fragestellungen standen im Fokus der ersten Online-Ausgabe des ECDF Industry Forums "Veränderte Arbeitswelt in Zeiten digitaler Transformation & Social Distancing" am 18. Juni 2020 mit rund 35 Teilnehmer*innen.
„Sie werden es uns nicht glauben, aber wir planen das Thema des heutigen Industry Forums bereits seit gut einem Jahr.“ So begrüßte Prof. Dr. Odej Kao, Sprecher des Einstein Center Digital Future (ECDF), die Teilnehmer*innen der bereits fünften Ausgabe des ECDF Industry Forums. Dass dieses aufgrund der Corona-Pandemie jedoch erstmals als Online-Ausgabe stattfinden würde, war natürlich keineswegs von langer Hand geplant. Umso erfreulicher war es, wie offen und lebhaft die Teilnehmer*innen – angeregt durch die spannenden Beiträge, u.a. durch Vertreter vom Cornelsen Verlag sowie von Roche Pharma – Erfahrungswerte und Tipps hinsichtlich der Umstellung auf digitale Verfahren austauschten.
Short Talks
Den Auftakt der Short Talks bildeten Christian Meske, ECDF-Professor für „Digitale Transformation und Strategisches Informationsmanagement“ (FU Berlin) sowie Philipp Staab, ECDF-Professor für „Soziologie der Zukunft der Arbeit“ (HU Berlin), die sich mit „Vor- und Nachteilen veränderter Arbeitsformen und digitaler Vernetzung“ beschäftigten. „Krisen – insbesondere ökonomische Krisen – wirken als Schübe für die Digitalisierung. Ab Mitte der 1990er Jahre bis 2000 gab es extrem viele Investitionen in dieses Feld und in das kommerzielle Internet, z.B. durch die Expansion von Infrastruktur etwa in Form von Unterseekabeln“, so Staab. In der aktuellen Situation zeige sich die Systemrelevanz dieser digitalen Infrastruktur, die eine gewisse Autonomie der Arbeit ermögliche. Diese stoße jedoch bei der Vernetzung im Arbeitsumfeld an Grenzen. „Die informellen Aspekte der Arbeit wie z.B. die zufälligen Begegnungen in der Teeküche fallen weg“, so Staab.
Den Autonomieaspekt griff auch Christian Meske auf: „Je größer die wahrgenommene Autonomie im Arbeitsumfeld, desto höher die Leistungsfähigkeit.“ Die zunehmende Autonomie bzw. Selbstbestimmung durch Homeoffice könne jedoch ohne eine wahrgenommene „Verbundenheit“ mit Kolleg*innen und Vorgesetzten auf Dauer auch zur eigenen Isolation führen. Eine entscheidende Rolle spielen daher in diesem Zusammenhang Kommunikations- und Kollaborationstechnologien wie z.B. Enterprise Social Networks (ESN). Diese erlauben dem Personal, Onboarding-Prozesse zu vereinfachen, bürokratische Hürden zu überwinden oder hierarchie- und abteilungsübergreifende Kontakte zu pflegen.
Perspektiven aus den Unternehmen
Auf die thematische Einordnung digitaler Transformationsprozesse der Arbeitswelt aus der Forschungsperspektive folgten im Anschluss zwei spannende Erfahrungsberichte aus der Unternehmenspraxis. Zunächst gab Sven Haedecke, Public Affairs Manager beim Cornelsen Verlag, „Einblicke in die Digitalisierung der Schulen und das Lernen zu Hause“. Er unterstrich, dass die aktuellen Einschränkungen im Hinblick auf das soziale Leben gerade auch im Bildungsbereich durch die kurzfristig erforderliche Umstellung auf das Lernen zu Hause zu großen Herausforderungen geführt haben. Nur wenige Schulen waren auf diese Transformation vorbereitet und es zeigte sich, dass für die Schüler*innen und das Lehrpersonal sowohl die fehlende digitale Ausstattung als auch das Wegbrechen der persönlichen Kontaktmöglichkeiten erhebliche Prüfsteine sind. „Man hat gesehen, wie wichtig der Sozialraum Schule an sich ist“, unterstrich Haedecke. Bei Cornelsen habe die Umstellung auf digitale Abläufe hingegen gut geklappt. „Wir haben auf unserer Webseite schnell und größtenteils kostenlos Informationen und Materialen wie eBooks, interaktive Übungen, Arbeitsblätter und Lernhilfen zur Verfügung gestellt. Dadurch hatten wir hohe Zugriffszahlen und großes Interesse“, so Haedecke.
Unter dem Titel „Arbeiten während der Corona-Pandemie: Viel zu tun. Keiner im Büro.“ berichtete Thomas Hugendubel, Leiter des Hauptstadtbüros der Roche Pharma AG, anschließend aus der Perspektive eines Pharma-Unternehmens, das neben der Umstellung auf digitale Abläufe auch durch seine gleichzeitige aktive Einbindung in die Eindämmung der SARS-CoV-2-Verbreitung schwierige Aufgaben meistern musste. „Unsere Kollegen der Diagnostics-Division haben in Rekordgeschwindigkeit Tests zum Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion bzw. dem Vorliegen von Antikörpern entwickelt. Da gab es natürlich sehr viel zu tun“, so Hugendubel. Die Umstellung auf Homeoffice habe trotzdem erstaunlich gut funktioniert, ob in Bezug auf Online-Assessment-Centers bei der Stellenrekrutierung oder Online-Teamevents, in denen sich die Mitarbeiter*innen bei Interesse gezielt zu nicht-dienstlichen Themen austauschen können. „So lange wie nötig, können wir im Homeoffice bleiben. Das hat sich für uns bewährt, da die Qualität der Arbeit weiterhin hoch ist“, resümierte Hugendubel.
Forschungsprojekt „Digitale Agilität“
Nach diesen Einblicken aus der Unternehmensperspektive stellten Daniel Fürstenau, ECDF-Professor für „Digitale Transformation und IT Infrastrukturen“ sowie Barbaros Erönü, Masterstudent in der AG Wirtschaftsinformatik im Bereich Digitale Transformation und IT Infrastrukturen der FU Berlin, ihr aktuelles Forschungsprojekt „Digitale Agilität“ vor. Es prüft den Zusammenhang zwischen dem Reifegrad der technologischen Ressourcen eines Unternehmens, internen Agilitätsfaktoren und der digitalen Agilität des Unternehmens – verstanden als die Fähigkeit schnell und einfach qualitativ-hochwertige digitale Produkte zu erzeugen. Ebenfalls bereits deutlich vor der Pandemie konzipiert, hat das Forschungsvorhaben durch die aktuellen Entwicklungen noch zusätzlich an Bedeutung gewonnen. So richtete sich Daniel Fürstenau in seinem abschließenden Statement auch direkt an die Unternehmensvertreter*innen: „Wir würden uns freuen, wenn Sie an der Umfrage teilnehmen, um zu analysieren wie der Digitalisierungsstand in Ihrem Unternehmen ist – gerade auch in Zeiten von Corona.“ Den Link zu der Umfrage finden Sie hier.
Die rege Diskussionsteilnahme und der offene Austausch im Anschluss an die Kurzvorträge zeigten, dass das Format des ECDF Industry Forums auch als Online-Ausgabe funktioniert – „auch wenn wir selbstverständlich hoffen, Sie sobald wie möglich wieder persönlich im Einstein Center Digital Future begrüßen zu können“, wie Moderator Tim Kawalun zum Abschluss der Veranstaltung unterstrich.