Wie kann Innovation im Dienstleistungsbereich auf die doppelte Transformation durch Digitalisierung und Nachhaltigkeit reagieren? In einem neuen Paper leistet Prof. Dr. Martin Gersch, Co-Vorsitzender des Board of Directors des ECDF und Professor an der Freien Universität Berlin, einen Beitrag zu einem interdisziplinären Ansatz mit der Einführung eines neuartigen Forschungsrahmens: Continuous Value Shaping (CVS).
Zahlreiche Disziplinen entwickeln derzeit neue Ansätze zur Förderung von Service-Innovationen. Diese Bemühungen geschehen jedoch häufig isoliert voneinander und führen so nur zu fragmentierten Lösungen. Die Sozial- und Geisteswissenschaften haben das Konzept sogenannter „boundary objects“ – also Grenzobjekte – eingeführt, um eine effektive Kommunikation und Kooperation zwischen unterschiedlichen Communities zu ermöglichen und so gemeinsam Wert zu schaffen. Ausgehend von der Fragmentierung disziplinärer Innovationsansätze wird CVS als Grenzkonzept vorgeschlagen – eine gemeinsame Sprache und Struktur, die die Zusammenarbeit zwischen Bereichen wie Service Management, Wirtschaftsinformatik, Marketing, Arbeitssoziologie, Unternehmertum und Innovationsmanagement erleichtert. Das Konzept erlaubt es, unterschiedliche Perspektiven zusammenzuführen, um effektive, inklusive und zukunftsfähige Service-Innovationen zu gestalten.
In dem Paper entwickeln Gersch und Kolleg*innen fünf Prinzipien für ein neues Verständnis von Service-Innovation, die entlang zweier Hauptdimensionen strukturiert sind:
Wertdimension:
Wert-Erweiterung: Innovationen sollten auf übergeordnete gesellschaftliche Ziele wie Nachhaltigkeit, Wohlbefinden oder Resilienz abzielen.
Institutionalisierung: Innovationen müssen in sich entwickelnde institutionelle Strukturen wie Normen, Standards oder Governance eingebettet werden.
Kontinuitätsdimension:
Interaktion: Innovationen entwickeln sich dynamisch durch reale Nutzung und wiederholte Iterationen.
Experimentieren: Datengestützte Experimente im Feld unterstützen kontinuierliches Lernen.
Integratives Prinzip:
Gestalten: Innovation ist kein einmaliger Akt, sondern ein Prozess wiederholter Interventionen und Ko-Kreation in offenen Ökosystemen.
Ein Beispiel aus dem Bereich nachhaltige Mobilität veranschaulicht die Anwendung von CVS: Die Kombination aus klassischem öffentlichen Nahverkehr mit Bike-, Scooter- oder Carsharing-Diensten erfordert nicht nur technische Integration, sondern auch Veränderungen im Nutzerverhalten, institutionelle Anpassungen und iteratives Experimentieren.
Die Autor*innen verstehen CVS nicht nur als theoretisches Modell. Es soll sowohl Forscher*innen als auch Praktiker*innen dabei unterstützen, die Herausforderungen der Service-Innovation in Zeiten digitaler Umbrüche, ökologischer Übergänge und gesellschaftlicher Transformation zu meistern. „CVS ermutigt uns, lineare Modelle zu verlassen und Innovation als kontinuierlichen, werteorientierten Prozess zu begreifen“, sagt Martin Gersch. „Es geht darum, gemeinsam zu lernen, zu experimentieren und Bedingungen zu gestalten – innerhalb und zwischen Organisationen; genau so, wie wir es am Einstein Center Digital Future praktizieren.“
Zum Paper:
Der vollständige Artikel mit dem Titel „Continuous Value Shaping: A Boundary Concept for Innovating Service Innovation Approaches“ ist als Open-Access-Publikation verfügbar: //Paper
Die Publikation ist das Ergebnis einer umfangreichen Zusammenarbeit führender Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen und Institutionen. Neben Martin Gersch wirkten folgende Forscher*innen an der Entwicklung des CVS-Rahmens mit:
Tilo Böhmann, Angela Roth, Gerhard Satzger, Carina Benz, Daniel Beverungen, Andreas Boes, Christoph Breidbach, Gerhard Gudergan, Jens Hogreve, Christian Kurtz, Barbara Langes, Jan Marco Leimeister, Tom Lewandowski, Thomas Meiren, Rainer Nägele, Stefanie Paluch, Christoph Peters, Jens Poeppelbuss, Susanne Robra-Bissantz, Carsten Schultz, Jan H. Schumann, Jochen Wirtz und Nancy V. Wünderlich.