Mit SARS-CoV-2 beladene Aerosole tragen vermutlich einen wesentlichen Teil zur Verbreitung der Corona-Pandemie bei. Mit dem Zusatz L für Lüften zur bestehenden AHA-Regel (AHA+L) verdeutlicht das Bundesministerium für Gesundheit, dass Lüften eine effektive Präventivmaßnahme ist. Prof. Dr. Martin Kriegel, Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts der TU Berlin (HRI), hat nun mit Unterstützung des Robert-Koch-Instituts, der Charité – Universitätsmedizin Berlin und eines Berliner Gesundheitsamtes ein Berechnungsmodell in Kooperation mit Prof. Dr. David Bermbach (ECDF/TU Berlin) entwickelt, mit dem es möglich ist, ein potenzielles Infektionsrisiko über Aerosole in Innenräumen vorauszuberechnen. So können Lüftungsmaßnahmen, die Anzahl der Kontakte und die Aufenthaltsdauer in Räumen hinsichtlich ihres präventiven Charakters bewertet und angepasst werden.
Zwar ist nicht bekannt, wie viele reproduktionsfähige Viren sich auf Aerosolpartikeln befinden und wie viele davon eingeatmet werden müssen, um tatsächlich COVID-19 auszulösen. Diese Daten sind schwer zu ermitteln und auch für andere Infektionskrankheiten, wie zum Beispiel die Influenza (Grippe), immer noch nicht abschließend erforscht. Zur Beurteilung des Infektionsrisikos mit SARS-CoV-2 über Aerosolpartikel bestehen aus medizinischer Sicht noch einige Unklarheiten. Jedoch ist es während einer Pandemie entscheidend, die Ausbreitung des Virus einzudämmen und effektive Präventivmaßnahmen zu finden.
Anhand des aktuellen Wissensstands über SARS-CoV-2 und der retrospektiven Betrachtung von zwölf kleinen bis großen Ausbrüchen in Deutschland und anderen Ländern konnte das Team um Martin Kriegel mit Unterstützung des Robert-Koch-Instituts, der Charité und eines Berliner Gesundheitsamtes ein Modell entwickeln, das das potenzielle Risiko einer Ansteckung über Aerosole vorausberechnet.
„Unser Modell hat vier wesentliche Erkenntnisse geliefert: Erstens, das Infektionsrisiko lässt sich durch Zuführen virenfreier Luft sehr effektiv reduzieren. Zweitens, die gemeinsame Aufenthaltsdauer von einer infizierten Person mit gesunden Personen hat einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung mit COVID-19. Dies gilt auch bei guter Lüftung oder gefilterter Raumluft“, so Martin Kriegel.
„Drittens ist die Begrenzung der Anzahl der Kontakte zur Eindämmung der Pandemie sehr sinnvoll, und viertens kann mit allen drei vorgenannten Maßnahmen die Ansteckungsrate über Aerosolpartikel minimiert werden.“
Um das neue Modell auch für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hat das HRI gemeinsam mit Prof. Dr. David Bermbach vom Fachgebiet Mobile Cloud Computing an der TU Berlin und dem ECDF eine Website entwickelt, auf der Interessierte mit der Eingabe von einfach zugänglichen Daten wie Raumgröße, Anzahl und Aktivität der Personen und Qualität der Lüftung eine vereinfachte Einschätzung des Ansteckungsrisikos über Aerosolpartikel in einer speziellen Situation treffen können. (kj)